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Kriminalschriftstellerei und Schelmenakademie

Ich komme aus einer kleinen Stadt zwischen zwei Ländern mit einem Zugang zum Meer. An dieser Küste gibt es einen langen, breiten Strand, hinter dem sanfte Dünen liegen, eine Marina und eine Werft. Wir sind geschickte Schiffbauer und Seefahrer. An den Rändern der Stadt liegen Felder, auf dem angebaut wird, was wir so brauchen. Was wir nicht selbst produzieren können, erhandeln wir von unseren freundlichen Nachbarn und in der ganzen Welt.

Wir verkaufen Schiffe, deren notwendiges Baumaterial wir wieder gegen Schiffe erhandeln. Wir verkaufen kostbare Stoffe aus unseren Webereien, feine Papiere und Karten, außerdem Arzneipflanzen und Gewürze.

Die meisten Häuser haben einen Garten, in dem die Bewohner anbauen, was sie im Alltag brauchen.

In einem unserer Nachbarländer gibt es eine ausgezeichnete Viehzucht. Dort kaufen wir unser Fleisch. Selbstverständlich ist der Fischfang überall an der Küste ausgeprägt und lebendig.

Wir atmen Sauerstoff und lieben das freie Leben über alles.

Wir sind sehr belesen, haben viele Buchläden und Bibiliotheken, und wir streiten und debattieren gern. Das lernen bei uns schon die Kinder (sprich immer zur Sache, nie über die Person!), weil es so gut ist für den Verstand. ‘Audiatur et altera pars’ ist heilige Pflicht.

Zu unserem Literaturfestival für gut erfundene wahre Geschichten kommen die Menschen von überall her.

Das Klima ist mediterran, die Küche ausgezeichnet (finden wir).

Und nun zu mir. Meine Eltern haben mich in den Traditionen unserer Stadt großgezogen. Mein Vater war Buchhändler. Er sammelte mit Vorliebe seltene Ausgaben. Seine Leidenschaft aber waren die Karten, und er fälschte sie mit großem Geschick.

Meine Mutter war Apothekerin und Heilkundige. Sie genoss das Vertrauen der Menschen, denen sie half. Ihre Leidenschaft waren die Giftpflanzen, über die sie große Kenntnisse besaß.

Ich habe mir die Leidenschaften meiner Eltern zu eigen gemacht, betrieb die entsprechenden Studien und bin wohl vertraut mit beiden Gebieten: der Kartenfälscherei und der Kriminalbotanik. Die Liebe zu diesen Künsten führte mich eines Tages mit Thymian Bennet Goodfellow zusammen, der in einigen unserer Nachbarländer aufwühlende Reportagen über die Abgründe des Gutenwahrenschönen schreibt und seltsamerweise eine ähnlichen Familienhintergrund aufzuweisen hat. Irgendwann werden wir der Sache auf den Grund gehen. Der Unterschied: Während ich Geschichten erfinde, berichtet Thymian über Tatsachen.

Meine Eltern führten ein offenes Haus, so dass ich schon als Kind mit allerhand Gestalten zusammentraf und so ein weites Spektrum menschlicher Möglichkeiten kennenlernte. Gute Gäste werden zu guten Gastgebern, und so gern die Menschen von überall her zu uns kommen, so gern gehen wir selbst auf Reisen, um zu lernen, zu lieben, zu sehen, zu hören, zu riechen, zu schmecken und zu fühlen.

Die Liebe zu den Büchern erwähnte ich schon. Unnötig also darauf hinzuweisen, dass wir auch eine große Liebe zum Schreiben besitzen. Besonders beliebt sind Geschichten über Schelme, weil bei uns nun einmal viele Schelme leben, die stets für Überraschungen gut sind. Überraschungen lieben wir besonders. Das hält wach und gesund, und es gibt immer was zu lachen.

Kommen Sie uns doch mal besuchen. Dann erzähle ich Ihnen auch gern, wie ich zur Kriminalschriftstellerei kam und was es mit der Schelmenschule auf sich hat.

Ihre Martha Carli

Henri-Edmond Cross
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